Verstehen statt nur entwickeln – Systems Engineering muss tief blicken
SE-Prinzip 6: Ein Plädoyer für ein tieferes Systemverständnis in der Projektpraxis des Mittelstands
Wenn Du als Projektleiter oder Produktmanager in einem mittelständischen Maschinenbau- oder Automatisierungsunternehmen tätig bist, kennst Du diese Situation vermutlich: Der Kunde formuliert einen Bedarf, intern wird daraus eine Lösungsidee, und schon läuft das Projekt. Doch nach einigen Wochen stellt sich heraus, dass wichtige Abhängigkeiten übersehen wurden, die Umgebung anders reagiert als gedacht oder der Bedarf sich weiterentwickelt hat. Was hier fehlt, ist nicht technische Expertise – sondern ein systemisches Verständnis.
Genau hier setzt das sechste Prinzip des Systems Engineering (SE) an:
“Es fordert ein zunehmend tieferes Verständnis für das System, seine Wechselwirkungen und das Verhalten innerhalb des jeweiligen Kontexts – und zwar über den gesamten Lebenszyklus hinweg.”
SE-Prinzip 6 nach INCOSE
Systemverhalten ist mehr als die Summe seiner Teile
Ein technisches System ist kein starres Konstrukt. Es lebt – im übertragenen Sinn – durch die Interaktionen seiner Komponenten, die Kopplungen mit der Umgebung und das Zusammenspiel mit den Menschen, die es nutzen oder betreiben. Die Herausforderung dabei: Viele dieser Interaktionen zeigen sich erst im Laufe der Zeit oder unter bestimmten Bedingungen. Und genau deshalb reicht es nicht, nur die Architektur „festzuzurren“ und dann umzusetzen.
SE verlangt, dass wir neugieriger sind:
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Was passiert, wenn sich die Umgebung verändert – etwa durch neue gesetzliche Anforderungen oder schwankende Materialqualitäten?
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Wie sensibel reagiert das System auf Abweichungen – sei es in der Temperatur, im Nutzungsverhalten oder in der Energieversorgung?
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Welche nichtlinearen Effekte könnten im späteren Betrieb auftreten – z. B. durch Rückkopplungen, Latenzen oder Nutzerverhalten?
Diese Fragen sind nicht akademisch – sie sind hochpraktisch. Denn wer die Dynamik des Systems versteht, kann robustere, anpassungsfähigere und effizientere Lösungen entwickeln.
Stakeholder verstehen – nicht nur abfragen
Das Prinzip fordert außerdem ein tieferes Verständnis der Stakeholder-Bedarfe. Auch hier gilt: Ein einmal aufgenommenes Lastenheft ist nur der Anfang. Bedürfnisse entwickeln sich weiter – etwa, wenn sich Rahmenbedingungen ändern, neue Erkenntnisse gewonnen werden oder neue Stakeholder ins Spiel kommen.
Ein wirksames Systems Engineering beobachtet diese Dynamik, stellt gezielt Rückfragen, testet Hypothesen und prüft regelmäßig, ob die geplante Lösung noch den tatsächlichen Bedarf trifft.
Der Kontext zählt – und er verändert sich
Ein dritter Aspekt betrifft die Betriebsumgebung. Maschinen und Anlagen agieren selten isoliert. Sie sind eingebettet in Prozesse, IT-Systeme, regulatorische Anforderungen und physikalische Umgebungen. Wer den Kontext zu oberflächlich betrachtet, riskiert spätere Anpassungskosten oder unzufriedene Kunden.
Das sechste SE-Prinzip erinnert uns daher daran, dass Systementwicklung kein linearer Vorgang ist, sondern ein iteratives Verstehen. Das bedeutet auch: Modellbildung, Simulationen, Analysen und Reviews sind keine „netten Extras“, sondern essenzielle Werkzeuge, um Risiken frühzeitig zu erkennen und Chancen zu nutzen.
Fazit: Verstehen ist die halbe Entwicklung
Wenn Du mit Deinem Team robuste und zukunftsfähige Systeme entwickeln willst, genügt es nicht, Anforderungen umzusetzen und Funktionen zu integrieren. Es geht darum, ein mentales Modell des Systems zu entwickeln – eines, das die Wechselwirkungen, die Sensitivitäten und das Verhalten über die Zeit hinweg abbildet.
Das sechste Prinzip des Systems Engineering liefert Dir dafür den gedanklichen Rahmen. Es ist eine Einladung, tiefer zu blicken – und damit Projekte erfolgreicher, nachhaltiger und letztlich wirtschaftlicher zu machen.
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